Coronazeit – Karfreitag (Rehden-Barver-Wetschen, 10.04.2020) Predigt: Johannes 3, 16
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.
Liebe Gemeinde!
Das biblische Wort, unter dem jeder Karfreitag steht, ist ein Satz, in dem – so kann man sagen – das ganze Evangelium zusammengefasst ist. Es steht im Johannesevangelium 16, 3 und lautet:
So hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.
Wieder hören wir von Gottes Liebe zu unserer Welt, Liebe, die ihren höchsten Ausdruck darin findet, dass Gott sogar seinen Sohn nicht verschont, ihn für diese Welt am Kreuz sterben lässt.
Was aber soll dieses grauenhafte Geschehen am Kreuz mit Liebe zu tun haben? Ist nicht das Gegenteil der Fall: Lieblosigkeit, Unmenschlichkeit, Feigheit und Gleichgültigkeit – sie haben Jesus ans Kreuz gebracht, „So hat Gott die Welt geliebt“? Das klingt zynisch, ja absurd, …auch angesichts der heutigen Lage mit der Corona-Pandemie. Und so frage ich mich: Wie kann ich von der Lebe Gottes predigen, wenn uns täglich von unzähligen Neuinfizierten berichtet wird? Wie kann ich von Gottes Liebe sprechen, wenn Hunderte und sogar Tausende an dieser Viruskrankheit jeden Tag sterben und Mediziner noch nicht viel dagegen tun können? Passt das überhaupt, jetzt in diesen Tagen von Gottes Liebe zu erzählen, wenn unzählige Menschen um ihre Existenz bangen, weil sie keine Kunden und keine Aufträge haben?
Doch ich habe eine Geschichte vor Augen, die von Liebe erzählt. Eine Geschichte, die in diesen Wochen überall spielen kann, in China, in Italien, in den USA oder auch in Deutschland. Die Geschichte eines Mannes, der an Corona stirbt. Er ist Mitte 70, hat Vorerkrankungen. Fünf Tage ist er bereits auf Intensivstation und wird künstlich beatmet. Aber das hilft nicht. Zu stark sind seine Lungen angeschlagen, sie können nicht mehr. Seine Frau ist gesund, aus irgendeinem Grund ist sie nicht infiziert. Der Besuch im Krankenhaus ist nur kurz möglich. Aber nichts sehnlicher wünscht sie als bei ihrem sterbenden Mann zu sein. Sie versteht, dass sie nichts machen kann, um ihn zu retten. Das Einzige, was sie kann, ist für ihn da sein. Jetzt ist es möglich. Mit Mundschutz, Schutzbrille und Schutzkleidung kommt sie hinein, an sein Bett. Es sind letzte Minuten seines Lebens. Sie hält seine Hand. Er spürt das. Es tut ihm gut, dass sie da ist. Sie, der geliebte und liebende Mensch, ist in dem schwersten Augenblick seines Lebens da, um diesen Moment mit ihm auszuhalten.
Karfreitag verkörpert den Moment tiefster Verlorenheit und die Abwesenheit von Hoffnung, den Moment, in dem das Dunkle verharrt und keine Wendung zum Leben mehr findet. Wenn alles zerrissen ist und nur Scherben vor mir liegen. Wenn die Diagnose ausgesprochen ist und mein Leben endet. Wenn meine Arbeit voller Mühen ist und die Kraft nicht mehr reicht, sie zu bewältigen. Gott macht sich all das zu eigen. Er kommt hinein. Hält mit aus. Die innere Katastrophe. Die Gegenwart des Todes und seiner Vorboten. Die Zumutungen und Ungerechtigkeiten, die Menschen durch anderen Menschen erleben müssen. Dort, in diesem unfassbaren Dunkel setzt sich Gott neben uns. Dieser Gott, der doch Hoffnung ist und Licht, das das Leben ist und für ein besseres Morgen steht. Dieser Gott lässt alles, was ihn ausmacht, los, um uns da nah sein zu können, wo all das gerade nicht ist. Gott teilt unsere totale Verlassenheit, unser Ausgeliefertsein, unsere Hoffnungslosigkeit. Gott folgt uns dahin, wohin uns niemand sonst folgen kann und mag. So sehr liebt Gott diese unsere Welt. Er verzichtet auf den magischen Handstreich, dass sofort oder überhaupt alles gut wird. Gott nimmt uns die geistliche Pflicht, trotz allem immer Mut und Hoffnung bewahren zu müssen. Gott kommt einfach zu uns ins Elend. Dieser Gott setzt sich neben mich und hält mit mir aus. Gott ist da, in Jesus, der am Kreuz stirbt.
An Ostern wird sich zeigen, dass Gott doch was tun kann. Aber jetzt ist der Moment, wo Liebe anders deutlich wird, in dem sie da ist und mit aushält.
Auch bei der Corona-Pandemie trägt Gott das Schwere mit uns. Auch in den Tränen hinter der Schutzbrille, in den Tränen um den geliebten Sterbenden sind Gottes Liebestränen drin.
Das ist Karfreitag. Gott segne uns diesen Tag!
Und sein Friede, der höher ist, als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Dimitri Schweitz, Pastor
Gebet:
Gott, höre mich!
Meine Seele verkriecht sich in einem dunklen Loch. Angst, Hoffnungslosigkeit, Schmerz – sie gewinnen die Überhand. Bewahre Du meine Seele, denn ich schaff es nicht mehr. Ich vermag nicht mehr rufen, bitten oder flehen. Aber ich brauche Dich, Gott! Ich brauche Deine Güte, Deine Nähe. Ich bitte dich: Zeige mir einen Weg mit mir selbst und aus mir heraus. Wenn es jemand kann, dann Du. Sei mir nahe mit Deiner Barmherzigkeit, Deiner Gnade, Deiner Geduld, Deiner Güte und Liebe.
Gott, Dir danke ich, dass ich im Gebet zu Dir mit allen Menschen in geistlicher Gemeinschaft vereint sein kann.
Dir klagen wir gemeinsam in dieser Zeit, dass weltweit schon Zehntausende Menschen an Corona gestorben sind und die Zahlen jeden Tag weiter steigen. Sei Du bei denen, die sich im Kampf gegen die Pandemie einsetzen, damit anderen geholfen wird.
Behüte alle Erkrankten, schenke Ihnen die Kraft zu genesen.
Und gib uns allen Vernunft zum besonnenen Umgang mit dieser Herausforderung.
Lass uns alle erfahren: Unser Leben ist in Dir allein geborgen.
Amen.